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Der Wert des Menschen

An den Grenzen des Humanen, Philosophicum Lech 9

Erschienen am 04.03.2006
19,90 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783552053748
Sprache: Deutsch
Umfang: 301 S.
Format (T/L/B): 2 x 20.5 x 12.5 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Humankapital! Kostenfaktor! Belastung für das Sozialbudget! Wo beginnt und wo endet die Würde des Menschen? Wer das fragt, stellt fest, dass es keine scharfen Grenzen dafür gibt, was "das Menschliche" ist. Die Evolutionsbiologie erforscht die genetische Nähe des Menschen zu verwandten Tierarten, die Medizin stößt in Unschärfen vor, wo und wie lange ein Organismus als Mensch mit menschlichen Rechten gelten kann. Und doch sind es diese Grenzen, an denen das Humane am klarsten zu diskutieren ist: Embryonenforschung und Euthanasie zeigen am Anfang und am Ende des Lebens, wie unterschiedlich die Würde des Menschen bewertet werden kann. Namhafte Philosophen und Wissenschaftler aller Richtungen diskutieren die fundamentale Frage, worin der Wert des Menschen gründet.

Autorenportrait

Website des Philosophicum Lech

Leseprobe

Um aber zu zeigen, was hier letzten Endes auf dem Spiel steht, gebe ich ein Beispiel, das bewusst utopisch und extrem ist, aber eben darum die Tendenz, von der ich spreche, deutlich werden lässt. Stellen wir uns eine Welt vor, in der die Reproduktion der Menschheit durch Apparaturen weitgehend sichergestellt ist. Sie ist vor allein dadurch sichergestellt, dass die Mittel für die Reproduktion der Menschheit extrem reduziert wurden und dass die Koordination ihres Verhaltens kein Problem mehr darstellt. Menschen werden nämlich in Retorten ''gezeugt'', in einem künstlichen Uterus entwickelt und wenn sie ein gewisses Reifestadium erreicht haben, werden ihre Köpfe abgetrennt, in eine Nährlösung gelegt und die Gehirne mit Drähten verbunden. Durch diese Drähte werden bestimmte Impulse geleitet, die im Bewusstsein eine dauernde Euphorie erzeugen. Subjektiv sind diese ''res cogitantes'' völlig zufrieden. Sie vermissen auch keinen Respekt vor ihrer Würde, weil sie ja deren Abwesenheit gar nicht wahrnehmen. Einige Wissenschaftler halten dieses System aufrecht. Sie allein sind noch ''Menschen'' im traditionellen Sinne, aber durch ihre Emanzipation von dem umgreifenden ''Tao'' - wie Lewis es genannt hat - sind sie es in Wirklichkeit auch nicht. Sie wissen, dass das, was sie veranlasst, Euphorie statt Schmerz zu erzeugen, nur anerzogene Vorurteile sind, und so erzeugen sie zu Forschungszwecken oder auch zum Amüsement ebenso nach Belieben Schmerz oder Verzweiflung. Und sie sind es auch, die über das jeweilige Ende des Lebens eines Kopfes entscheiden. Diese Horrorutopie wird wohl für immer Utopie bleiben. Der Widerstand gegen diese szientistische Entwürdigung des Menschen ist sogar parallel zum Anwachsen der Bedrohung bereits gewachsen. Die Verteidigung freier Interaktionsstrukturen gegenüber wissenschaftlicher Kontrolle organisiert sich. Aber es ist bisher mehr ein diffuses Gefühl, das hier rebelliert und eine elementare Anarchie verteidigt, zum Beispiel im Bereich des Datenschutzes. Weil man oft gar nicht genau weiß, was man eigentlich gegen wen zu verteidigen hat, gewinnt diese Verteidigung oft sogar irrationale Züge, so beim Widerstand gegen eine Volkszählung. Dies wiederum führt dazu, dass der Widerstand selbst wissenschaftlich vergegenständlicht und zum Problem der Erzeugung von ''Akzeptanz'' umformuliert wird, was von neuem das Ethos als umgreifendes Medium der Verständigung neutralisiert und durch Sozialpsychologie ersetzt. Der Gedanke der Würde ist indessen ein fundamental ethischer, der sich prinzipiell jeder wissenschaftlichen Vergegenständlichung entzieht. Das heißt nicht, dass er jeder theoretischen Reflexion entzogen bleiben müsste. Wäre dies der Fall, so wäre der Würdegedanke seiner wissenschaftlichen Vergegenständlichung ohnmächtig ausgeliefert und könnte sich ihr gegenüber sozusagen nur in einer fanatischen Trotzhaltung behaupten. Diese Trotzhaltung wäre ehrenwert, aber doch ein Ausdruck der Ohnmacht und eines Begründungsdefizits: Seine theoretische Begründung findet der Gedanke der Menschenwürde und ihrer Unantastbarkeit allerdings nur in einer metaphysischen Ontologie, das heißt in einer Philosophie des Absoluten. Darum entzieht der Atheismus dem Gedanken der Menschenwürde definitiv seine Begründung und so die Möglichkeit theoretischer Selbstbehauptung in einer Zivilisation. Und nicht von ungefähr haben sowohl Nietzsche wie Marx Würde als ein erst Herzustellendes und nicht als ein zu Respektierendes bezeichnet. Die Präsenz des Gedankens des Absoluten in einer Gesellschaft ist eine notwendige, nicht jedoch eine hinreichende Bedingung dafür, dass die Unbedingtheit der Würde auch jener Repräsentation des Absoluten zuerkannt wird, die ''Mensch'' heißt. Hierzu bedarf es weiterer Bedingungen, darunter der rechtlichen Kodifizierung. Eine wissenschaftliche Zivilisation bedarf - ihrer immanenten Selbstbedrohung wegen - dieser Kodifizierung mehr als jede andere. Leseprobe